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Ausnahmen vom Progressionsvorbehalt

Beim sogenannten Progressionsvorbehalt werden im Inland steuerfreie Einkünfte unter bestimmten Voraussetzungen zwar nicht besteuert, jedoch für die Berechnung des auf die steuerpflichtigen Einkünfte anzuwendenden Steuersatzes berücksichtigt. Dies betrifft bspw. inländische Lohnersatzleistungen oder ausländische Einkünfte (§ 32b Abs. 1 S. 1 EStG); Satz 2 der Vorschrift enthält einige Ausnahmen. Der BFH stellt in seinem Urteil vom 21.05.2025 (Az. I R 5/22) klar, dass diese Ausnahmen nur für diejenigen Einkünfte gelten, die aufgrund einer abkommensrechtlichen Steuerfreistellung dem Progressionsvorbehalt unterliegen.

Im Streitfall bezog ein unbeschränkt Steuerpflichtiger in Deutschland Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Seine Ehefrau wohnte in Polen und erzielte dort unter anderem Vermietungseinkünfte. Die nicht dauernd getrenntlebenden Eheleute beantragten für das Streitjahr in Deutschland die Zusammenveranlagung. Nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG wird dabei ein Ehegatte ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland fiktiv als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt. Die Eheleute gingen davon aus, dass die polnischen Vermietungseinkünfte nach dem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit Polen in Deutschland steuerfrei und vom Progressionsvorbehalt ausgenommen seien. Im Zuge der Einkommensteuerveranlagung unterwarf das Finanzamt jedoch sämtliche in Polen erzielten Einkünfte der Ehefrau nach § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EStG dem Progressionsvorbehalt. Diese Regelung sieht den Progressionsvorbehalt bei fiktiv unbeschränkt Steuerpflichtigen nicht bei einer abkommensrechtlichen Freistellung, sondern beim Nichtvorliegen inländischer Einkünfte vor. Einspruch und Klage, die sich gegen die Anwendung des Progressionsvorbehalts auf die polnischen Vermietungseinkünfte richteten, blieben ohne Erfolg.

Der BFH folgte den Feststellungen des Finanzamtes bzw. des Finanzgerichts. Bereits dem Wortlaut nach bezieht sich die Ausnahmeregelung des § 32b Abs. 1 S. 2 (hier Nr. 3) EStG nur auf nach einem DBA steuerfreie Einkünfte. Das DBA Polen findet vorliegend jedoch an sich schon keine Anwendung: aufgrund der Belegenheit des Vermietungsobjektes sowie ausschließlicher abkommensrechtlicher Ansässigkeit der Ehefrau in Polen mangelt es hierfür an einem grenzüberschreitenden Sachverhalt und ihre Vermietungseinkünfte sind in Deutschland nicht steuerbar. Demzufolge kommt - wie vom Finanzamt veranlagt - der Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs 1 S. 1 Nr. 5 EStG zur Anwendung, für den aber keine Ausnahme bei nur fiktiver unbeschränkter Steuerpflicht vorgesehen ist. Eine Ausdehnung der Ausnahme vom Progressionsvorbehalt auf solche ausländischen Einkünfte, die nicht nach einem DBA steuerfrei sind, kommt laut BFH nicht in Betracht.

Diese Rechtsfolge verstößt nach Auffassung des BFH auch nicht gegen das Unionsrecht. Denn für die Ungleichbehandlung mit den regulär unbeschränkt Steuerpflichtigen ist nicht die steuerliche Ansässigkeit der Ehefrau in Polen maßgeblich, sondern die Inanspruchnahme der Vorteile einer Zusammenveranlagung ungeachtet dieses Umstands. Gleichzeitig wird die von der EuGH-Rechtsprechung geforderte Symmetrie gewahrt: bei negativen polnischen Vermietungseinkünften wäre ein negativer Progressionsvorbehalt vorzunehmen. 

Hinweis:

Das Urteil verdeutlicht, dass im Inland lediglich fiktiv unbeschränkt Steuerpflichtige nicht vorbehaltlos wie unbeschränkt Steuerpflichtige zu behandeln sind. In der Praxis ließe sich das Problem des Streitfalls durch die Begründung eines Wohnsitzes und/oder gewöhnlichen Aufenthalts der Ehefrau in Deutschland vermeiden. Im Zweifel müssten die Steuerpflichtigen abwägen, ob die steuerlichen Vorteile der Zusammenveranlagung ohne Progressionsvorbehalt dann anfallende Kosten, bspw. für eine größere Wohnung oder höheren Reiseaufwand, überwiegen. Über den beschriebenen Sachverhalt hinaus lässt sich die Rechtsprechung auch auf andere in § 32b Abs. 1 S. 2 EStG genannte aus EU-/EWR-Staaten stammende Einkünfte anwenden, bspw. aus einer gewerblichen Betriebsstätte, die nicht die Aktivitätsvoraussetzungen des § 2a Abs. 2 S. 1 erfüllt.

Dieser Artikel wurde verfasst von

Roland Speidel
Steuerberater, Rechtsanwalt, Director, National Office Tax & Legal