Datum: 

Mindestgewinnbesteuerung verfassungsgemäß


Steuerbare Verluste werden zunächst im Entstehungsjahr mit anderen positiven Einkünften derselben und, soweit keine Ausgleichsbeschränkungen bestehen, auch mit den positiven Einkünften anderer Einkunftsarten ausgeglichen. Soweit dies nicht möglich ist, werden sie unter bestimmten Voraussetzungen in andere – vorangegangene oder folgende - Veranlagungszeiträume verlagert und dort vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen. Im ersten Schritt ist regelmäßig ein entsprechender Verlustrücktrag vorzunehmen, der (ab dem Veranlagungszeitraum 2022) auf die beiden unmittelbar vorangegangenen Jahre beschränkt und durch einen Höchstbetrag gedeckelt ist. Für hiernach nicht berücksichtigte Verluste ist im zweiten Schritt ein entsprechender Verlustvortrag vorzunehmen, der zeitlich unbegrenzt möglich, aber oberhalb eines Sockelbetrags der Höhe nach beschränkt ist.

Konkret ist die Verrechnung vorgetragener Verluste in einer Besteuerungsperiode bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von einer Million Euro (= Sockelbetrag) vollständig möglich. Übersteigt der Gesamtbetrag der Einkünfte diesen Sockelbetrag, ist ein Abzug jeweils nur in Höhe von weiteren 60 % (Veranlagungszeiträume 2024 bis 2027: 70 %) des diesen Betrag übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte möglich. Der Abzug bestehender Verlustvorträge wird damit zeitlich gestreckt. Infolge dieser Vortragstechnik verbleibt trotz eines weiter vorhandenen Verlustvortrags ein positives Einkommen, das der Besteuerung unterliegt - es kommt zur sog. Mindestgewinnbesteuerung.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist die Mindestgewinnbesteuerung in ihrer Grundkonzeption mit dem Grundgesetz vereinbar, zumindest soweit sie lediglich eine zeitliche Streckung der Verlustberücksichtigung bewirkt und Verluste nicht definitiv vom Abzug ausgeschlossen werden. Anderes soll aber gelten, wenn auf der Grundlage eines inneren Sachzusammenhangs bzw. einer Ursachenidentität zwischen Verlust und Gewinn der Mindestgewinnbesteuerung im Einzelfall die Wirkung zukommt, den Verlustabzug gänzlich auszuschließen und eine leistungsfähigkeitswidrige Substanzbesteuerung auszulösen. Das Bundesverfassungsgericht positionierte sich dazu im Fall einer Kapitalgesellschaft, über deren Vermögen letztlich ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, mit seinem Beschluss vom 23.07.2025 (Az. 2 BvL 19/14).

Soweit danach die zu beurteilenden Vorschriften bei Überschreiten des Sockelbetrags von einer Million Euro den Abzug vorgetragener Verluste pro Besteuerungszeitraum auf 60 % des Restbetrags beschränken, bewirken sie zwar eine Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen abhängig von der Höhe des Gesamtbetrags der Einkünfte. Bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte oberhalb des Sockelbetrags führen die zu beurteilenden Vorschriften indes zu einer formalen Gleichbehandlung sämtlicher Körperschaftsteuersubjekte, also auch solcher Steuersubjekte, die nicht fortbestehen, sondern deren zivil- und steuerrechtliche Existenz infolge von Liquidation oder Insolvenz beendet wird. Die dadurch bewirkten (Un-)Gleichbehandlungen sind jedoch sachlich gerechtfertigt.

Denn die Begrenzung des Verlustvortrags der Höhe nach in der Grundkonzeption der Mindestgewinnbesteuerung wird durch den sachlichen Grund kontinuierlicher und gegenwartsnaher Besteuerung als besonderem Fiskalzweck getragen. Die Mindestgewinnbesteuerung ist zulässigerweise darauf gerichtet, jedenfalls einen gewissen Zugriff des Staates auf gegenwärtige Unternehmensgewinne zu gewährleisten, indem Altverluste nicht unbeschränkt in Ansatz gebracht werden können. Damit ist der Gesetzgeber durch Sicherstellung einer positiven Bemessungsgrundlage berechtigt, das Steueraufkommen „beständig zu machen“. Die Steuerzahllast des einzelnen Steuerpflichtigen wird im Zeitverlauf insgesamt aber nicht betragsmäßig erhöht, sondern die Bemessungsgrundlage lediglich über die Veranlagungszeiträume verteilt. Dabei geht der Gesetzgeber davon aus, dass gerade bei „ewig lebensfähigen“ juristischen Personen Verluste vergangener Besteuerungsperioden im Laufe der Zeit grundsätzlich abgetragen werden können.

Der aus der typisierenden Regelung der Mindestgewinnbesteuerung resultierende Nachteil, dass Verlustvorträge über die Zeit mangels ausreichender positiver Einkünfte nicht vollständig aufgezehrt werden können und in bestimmen Fällen, z.B. bei Insolvenz, endgültig ungenutzt wegfallen („Definitiveffekt“), steht in einem vertretbaren Verhältnis zu dem mit der Regelung primär verfolgten Ziel einer kontinuierlichen, gegenwartsnahen Besteuerung.

Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass das Körperschaftsteuerrecht und diesem folgend das Gewerbesteuerrecht besondere Vorschriften der Liquidationsbesteuerung bei Kapitalgesellschaften vorsehen. Zudem lässt das allgemeine Verfahrensrecht die Gewährung von Billigkeitsmaßnahmen im Einzelfall zu.

Hinweis:

Der aktuelle Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bringt Klarheit im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Einordnung der Mindestgewinnbesteuerung. Damit könnte die entsprechende und schon seit längerer Zeit anhängige Verfassungsbeschwerde (Az. 2 BvR 2998/12) vorab entschieden sein.

Dieser Artikel wurde verfasst von

Roland Speidel
Steuerberater, Rechtsanwalt, Director, National Office Tax & Legal