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Schriftformerfordernis als alleinige Voraussetzung für Betriebsausgabenabzug ist willkürlich


§ 4 Abs. 4 EStG definiert Betriebsausgaben als alle durch den Betrieb veranlasste Aufwendungen in Geld oder Geldeswert. Mit Beschluss vom 27.05.2025 (Az. 2 BvR 172/24) klärte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) für die Feststellung der betrieblichen Veranlassung von Aufwendungen im Rahmen des dabei anzustellenden Fremdvergleichs, ob und inwieweit die Einhaltung der Schriftform als Tatbestandsmerkmal des § 4 Abs. 4 EStG herangezogen werden kann.

Die in einer Unternehmensgruppe für Holzbearbeitung und -handel strategisch tätige Gesellschaft hatte für eine beteiligungsidentische Schwesterpersonengesellschaft ein Sägewerk errichtet. Durch Fehlplanungen und mangelhafte Umsetzung entstand letzterer ein Schaden in Höhe von rd. EUR 4 Mio. Dieser wurde ihr von der strategisch tätigen Gesellschaft ausgeglichen. Schriftliche Vereinbarungen lagen weder hinsichtlich der Planung und Errichtung des Sägewerks noch über die Vereinbarung zum Schadenausgleich vor. Da sich deshalb ein wie unter Fremden üblicher Inhalt und eine übliche Durchführung der Vorgänge nicht nachvollziehen ließen, versagte das Finanzamt den Betriebsausgabenabzug des Schadenausgleichs. Das hiergegen angerufene Finanzgericht (FG) bestätigte diese Ablehnung und stellte dabei insgesamt ausschließlich auf das Fehlen schriftlicher Verträge ab: Fremde Dritte hätten − bei einer Größenordnung in Millionenhöhe − von vornherein schriftliche Verträge sowohl über den Aufbau des Sägewerks als auch die damit einhergehenden laufenden operativen Nutzungen (hier mittels Lohnfertigungsverhältnissen) geschlossen, aus denen sich zumindest die wesentlichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner einschließlich der Übernahme der wesentlichen Risiken ergeben. Weitere Beweisvorbringen wurden nicht zugelassen.
Dieser Vorgehensweise widersprach das BVerfG vehement. Zwar sind Auslegung und Anwendung eines Gesetzes auf den einzelnen Fall Sache der dafür zuständigen Gerichte und daher der Nachprüfung durch das BVerfG grundsätzlich entzogen. Allerdings kommt ein verfassungsgerichtliches Eingreifen in seltenen Ausnahmefällen unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Bedeutung als Willkürverbot in Betracht. Dies nahm das BVerfG hier an.

Es sah „die Entscheidung des FG unter keinem denkbaren Aspekt als rechtlich vertretbar“ an. Denn dieses hatte „im Rahmen des anzustellenden Fremdvergleichs die Einhaltung der Schriftform zu einem Tatbestandsmerkmal des § 4 Abs. 4 EStG verselbständigt, was in schlechterdings unhaltbarer Weise der Rechtsprechung des BVerfG widerspricht“.

Das BVerfG stellte weiter fest, dass das FG nicht die im Rahmen des Fremdvergleichs gebotene Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände durchgeführt, sondern allein darauf abgestellt hatte, dass die beteiligten Gesellschaften im Vorfeld keine schriftlichen Vereinbarungen getroffen hatten. Dabei hatte es nicht das gänzliche Fehlen von Vereinbarungen (z.B. mündliche) für maßgebend erachtet, sondern den unterbliebenen Abschluss von schriftlichen Verträgen. Es hatte zudem ausdrücklich offengelassen, ob „etwaige konkludente Vereinbarungen“ über eine Lohnfertigung oder Vereinbarungen zur Zahlung von Schadenersatz geschlossen wurden. Andererseits hatte es stets von „schriftlichen Verträgen“ bzw. „schriftlichen Vereinbarungen“ gesprochen sowie das sich möglicherweise aus dem Fremdvergleichsgrundsatz ergebende Erfordernis von schriftlichen Verträgen als „gerade keine bloße, überflüssige Formalie“ bezeichnet.

Das FG hatte sich also mit der daraus abzuleitenden Fokussierung auf schriftliche Vereinbarungen nicht mit der umfangreichen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Frage der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände im Rahmen des Fremdvergleichs auseinandergesetzt, sondern allein ein Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) aus dem Jahr 2015 (Az. IV R 16/12) zitiert, das aber ebenfalls die Verpflichtung zu einer Gesamtwürdigung auf Basis der festgestellten Tatsachen vorsieht. Eine solche konnte das BVerfG allerdings dem vorliegenden Urteil des FG „nicht ansatzweise“ entnehmen und wies deshalb das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung nach der gebotenen Gesamtwürdigung (ggf. nach Beweisaufnahme) an das FG zurück.
 

Hinweise: 

Für Fälle mit Auslandsbezug hatte die Rechtsprechung bereits vor Jahren entschieden, dass Art. 9 OECD-MA für auf inländische Rechtsvorschriften gestützte Korrekturen insoweit eine Sperrwirkung entfaltet, als diese Korrekturen auf rein formale Beanstandungen, konkret fehlende Schriftform, gestützt sind. Daraufhin änderte die Finanzverwaltung die Körperschaftsteuerrichtlinien für Fälle mit Auslandsbezug.

Verfahrensrechtlich ist interessant, dass erst das BVerfG das FG-Urteil aufhob und in der Sache an das FG zurückverwies und nicht bereits der BFH. Dieser hatte zuvor die Beschwerde gegen die nicht zugelassene Revision abgelehnt. 



 

Dieser Artikel wurde verfasst von

Roland Speidel
Steuerberater, Rechtsanwalt, Director, National Office Tax & Legal