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Steuerfreistellung niederländischen Arbeitslohns im Ansässigkeitsstaat Deutschland bei Anwendung der sogenannten 30%-Regelung

Ist ein nach dem DBA mit den Niederlanden in Deutschland ansässiger Arbeitnehmer bei einem Arbeitgeber in den Niederlanden beschäftigt und dort auch tätig, können ihm durch den Aufenthalt in den Niederlanden entstehende Mehrkosten (sog. extraterritoriale Kosten) nach den niederländischen Steuerregelungen steuerfrei erstattet werden. 
Ob und wie sich dies auf die Besteuerung in Deutschland (unbeschränkte Steuerpflicht wegen Wohnsitz) auswirkt, hat der BFH im Urteil vom 10.04.2025 (Az. VI R 29/22) entschieden.

Der Arbeitnehmer war im Jahr 2019 ausschließlich in Deutschland wohnhaft, bei einem Arbeitgeber in den Niederlanden beschäftigt und übte seine nichtselbständige Arbeit an 157 Tagen in den Niederlanden und an 80 Tagen in Deutschland aus. Der niederländische Arbeitgeber machte von der Pauschalierungsmöglichkeit für die extraterritorialen Kosten nach niederländischem Recht Gebrauch und zahlte dem Arbeitnehmer ohne weitere Nachweise tatsächlich entstandener Kosten 30 % seines Arbeitslohns steuerfrei aus (sog. 30 %-Regelung). Entsprechend wies die niederländische Lohnsteuerbescheinigung als steuerpflichtigen Arbeitslohn lediglich das um 30 % bereinigte Jahresgehalt sowie gesondert (nachrichtlich) auch den Betrag nach der 30 %-Regelung aus. Das Finanzamt setzte als in Deutschland steuerbare Einkünfte jedoch nicht nur die auf die Tätigkeitstage in Deutschland entfallenden Teile (80/237 Arbeitstage), sondern auch die auf die Niederlande entfallenden Teile (157/237 Arbeitstage) des nach der 30 %-Regelung steuerfrei verbliebenen Arbeitslohns an. Denn die bisherige Einbeziehung dieses steuerfreien Teils des Arbeitslohns lediglich in den Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG sei unzutreffend, weil eine Freistellung nur insoweit in Betracht komme, als nach Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) DBA-Niederlande eine tatsächliche Besteuerung in den Niederlanden erfolgt sei. Dies sei bei der 30 %-Regelung gerade nicht der Fall.

Dies beurteilte der BFH anders. Unstreitig steht das Besteuerungsrecht betreffend die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach dem DBA-Niederlande neben Deutschland auch den Niederlanden insoweit zu, als der Arbeitnehmer seine Tätigkeit dort (im Streitfall an 157 von 237 Arbeitstagen) ausgeübt hat. Im Rahmen dessen wurde der niederländische Arbeitslohn auch im Sinne des Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) DBA-Niederlande in den Niederlanden in vollem Umfang tatsächlich besteuert. Dies gilt auch für den nach der 30 %-Regelung steuerfrei ausgezahlten Teil.

Mit der 30 %-Regelung soll Arbeitnehmern, die eine Tätigkeit bei einem niederländischen Arbeitgeber aufnehmen und zwecks Ausübung ihrer Tätigkeit in die Niederlande umziehen oder täglich vom Ausland in die Niederlande reisen, damit verbundene zusätzliche Kosten ausgeglichen werden. Es handelt sich daher um die pauschalierte Erstattung von steuererheblichen Aufwendungen des Steuerpflichtigen und eben nicht um eine persönliche oder sachliche Steuerbefreiung, die nach Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) DBA eine tatsächliche Nichtbesteuerung bewirkt. Wie bei Freibeträgen und steuermindernden Vorschriften im Rahmen der Einkommensermittlung liegt mit einer solchen aufwandsentlastenden Steuerfreistellung keine Nichtbesteuerung im Sinne von Art. 22 Abs. 1 Buchst. a) DBA-Niederlande vor. Deshalb ist der in den Niederlanden nach Anwendung der 30 %-Regelung von der Besteuerung freigestellte Teil des Arbeitslohns bei der Ermittlung der deutschen Bemessungsgrundlage nicht im Rahmen der Einkünfte, sondern nur beim Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen.


Hinweis:

Art. 22 Abs. 1 Buchst. a S. 1 DBA-Niederlande wie auch § 50d Abs. 9 S. 4 EStG stellen sog. Rückfallklauseln dar, nach denen „Einkünfte“ aufgrund ihrer Behandlung im anderen Vertragsstaat nicht von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen werden. Darauf zurückgreifend ist die Finanzverwaltung bestrebt, auch Teile von nicht besteuerten Einkünften in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen. Entsprechend wird im BMF-Schreiben vom 12.12.2023 (BStBl I 2023, 2179 Tz. 421) beispielhaft auf die niederländische Experten- bzw. 30 %-Regelung Bezug genommen. Die Reaktion der Finanzverwaltung auf das aktuelle Urteil bleibt abzuwarten; zumindest dürfte die 30 %-Regelung neu beurteilt werden müssen.

Dieser Artikel wurde verfasst von

Christiane Anger
Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Partnerin, Global Employer Services
Roland Speidel
Steuerberater, Rechtsanwalt, Director, National Office Tax & Legal