Blickpunkt: Bilanzierung von Emissionsberechtigungen in IFRS-Abschlüssen
Blickpunkt: Bilanzierung von Emissionsberechtigungen in IFRS-Abschlüssen
Einleitung
Die mit dem Pariser Klimaabkommen 2015 beschlossene Dekarbonisierung – die Reduktion des weltweiten Temperaturanstiegs - kann nur erreicht werden, wenn die Weltwirtschaft schnell und konsequent deutlich weniger Kohlenstoff freisetzt. Das führt zu Veränderungen bei Treibhausgas emittierenden Unternehmen. Sogenannte CO2-Preissetzungsprogramme gelten als wesentliche Maßnahme zur Anreizsetzung für eine Reduktion von Kohlenstoffdioxid (CO2) und CO2-Äquivalenten durch Einführung von Emissionsberechtigungen. Sie finden sich am Markt sowohl als für bestimmte Emittenten verpflichtend anzuwendende Compliance-Programme, die die Zuteilung von Emissionsrechten in Höhe einer zulässigen Obergrenze zum Inhalt haben (z.B. Cap and Trade-Modell der EU/ emission trading schemes (ETS)) und handelbar sind als auch in vielfältiger Ausprägung in Form von freiwilligen Programmen, bei denen Unternehmen auf freiwilliger Basis Zertifikate erwerben können, um ihre Emissionen ausgleichen zu können. Dieser Beitrag fokussiert sich im Wesentlichen auf verpflichtend anzuwendende Compliance-Programme.
Die meisten verpflichtenden ETS basieren auf dem „cap and trade“ Prinzip.[1] Dabei wird eine regulierte Höchstmenge auszustoßender Emissionen festgelegt („cap“) und dazu eine korrespondierende Anzahl an Emissionsberechtigungen kostenlos zur Verfügung gestellt oder an die Unternehmen verkauft. Die Emissionsberechtigungen können anschließend an Börsen gehandelt werden („trade“). Das prominenteste Beispiel hierfür ist das im Jahr 2005 in der EU eingeführte „EU Emissions Trading System“.
Bisherige Regelungen und Veröffentlichungen des IASB im Hinblick auf die Bilanzierung von Emissionsberechtigungen
Bereits 2004 – und damit vor mehr als 20 Jahren - wurde zum Zeitpunkt der Einführung des EU Emission Trading Systems mit Veröffentlichung von IFRIC 3 (Emission Rights) vom IASB ein Vorschlag zur Bilanzierung von Emissionsberechtigungen veröffentlicht. Demnach sollten Emissionsberechtigungen als immaterielle Vermögenswerte angesetzt werden und gemäß IAS 38 (immaterielle Vermögenswerte) oder – im Falle der Ausgabe der Emissionsberechtigungen zu einem unter dem beizulegenden Zeitwert liegenden Betrag (z.B. durch unentgeltliche Zuteilung) – gemäß IAS 20 (Zuwendungen der öffentlichen Hand) bilanziert werden. Für bestehende Verpflichtungen zur Lieferung von Emissionsrechten sollten Rückstellungen gemäß IAS 37 (Rückstellungen, Eventualverbindlichkeiten und Eventualforderungen) angesetzt werden. Im Juni 2005 hat der IASB IFRIC 3 wieder zurückgezogen, da sich die EFRAG gegen eine Anwendung in der EU ausgesprochen hatte. Die Ablehnung der EFRAG erfolgte u.a. aufgrund eines möglichen measurement mismatch, da der Ansatz der Rückstellung zum beizulegenden Zeitwert der zur Erfüllung erforderlichen Emissionsrechte am Bilanzstichtag zu erfolgen hatte. Dies galt auch für den Fall, dass die Verpflichtungen durch Ausgabe von Emissionsberechtigungen, die zu niedrigeren Anschaffungskosten bilanziert sind, erfüllt werden können.
Der IASB widmete sich immer wieder dem Thema der Bilanzierung von Emissionsrechten und entwickelte daraus das Projekt „Emissionshandelsprogramme“, welches 2015 in „Mechanismen für die Schadstoffbepreisung“ (Pollutant Pricing Mechnisms) umbenannt wurde. Das Projekt umfasst seit jeher eine Bandbreite von Programmen, bei denen Verschmutzungsrechte eingesetzt werden, um den Schadstoffausstoß zu regeln. Im Rahmen des Projekts wirft der IASB bisher verschiedene Fragen hinsichtlich der Bilanzierung von Emissionsberechtigungen in sog. emission trading schemes auf (u.a. in den vielfach verbreiteten cap-and-trade Systemen).[2] Einerseits stellt der IASB die grundsätzliche Frage, ob Emissionsberechtigungen überhaupt als Vermögenswerte zu klassifizieren sind und wenn ja, auf welcher Basis diese zu aktivieren sind. Infrage kommt grundsätzlich der Ansatz als immaterielle Vermögenswerte, Vorräte, finanzielle Vermögenswerte oder eine andere Art von Vermögenswerten. Außerdem besteht Diskussionsbedarf, zu welchem Zeitpunkt Emissionsberechtigungen bzw. korrespondierende Verbindlichkeiten zu erfassen sind, wie sie zu bewerten sind und welche Erträge und Aufwendungen zu welchen Zeitpunkten entstehen, u.a., ob ein möglicher day one gain entstehen kann. Unklar scheint ebenfalls, welche konkreten Angaben Abschlussadressaten benötigen, um die finanziellen Auswirkungen beurteilen zu können. Das Projekt wurde bisher nicht finalisiert. Der IASB hat das Projekt zwar weiter im Blick. Allerdings entschied sich der IASB in seinem Januar 2025 Meeting gegen eine Aufnahme in den Arbeitsplan des IASB. Stattdessen wurde das Projekt bis zur nächsten Agenda-Konsultation vertagt.[3] Derzeit fehlen daher explizite Bilanzierungsvorgaben für den Ansatz und die Bewertung von Emissionsrechten.
ESMA-Stellungnahme von Oktober 2024 „Clearing the smog: Accounting for carbon allowances in financial statements”
Förderung von Transparenz in Bezug auf die Bilanzierung von Emissionsberechtigungen
Im Oktober 2024 hat die ESMA eine öffentliche Stellungnahme zur Bilanzierung von Treibhausgasemissionsrechten (Zertifikate) in IFRS-Abschlüssen (Clearing the smog: Accounting for Carbon Allowances in Financial Statements) veröffentlicht. Diese ersetzt zwar keine fehlenden Bilanzierungsvorschriften des IASB, dient Unternehmen aber gleichwohl zur Unterstützung bei der Bilanzierung und zur Förderung von Transparenz in Bezug auf die Bilanzierung von Emissionsberechtigungen.[4]
Die ESMA weist in ihrer Stellungnahme auf IAS 8.10-.12 hin, wonach das Management eines Unternehmens nach eigenem Ermessen darüber zu entscheiden hat, welche Rechnungslegungsmethode anzuwenden ist oder wie diese geeignet entwickelt werden kann, sofern kein IFRS ausdrücklich anwendbar ist. Emittenten sollen die gewählten Rechnungslegungsgrundsätze über einen längeren Zeitraum hinweg konsistent anwenden, und zwar über ähnliche Programme zur CO2-Bepreisung und alle Abschlussbestandteile hinweg, und sie nur dann ändern, wenn diese Änderungen dazu führen, dass die Finanzberichte zuverlässigere und relevantere Informationen liefern. In der Stellungnahme nimmt die ESMA eine Bestandsaufnahme der in den Abschlüssen börsennotierter europäischer Unternehmen vorzufindenden Bilanzierungsansätze für CO2-Preissetzungsprogramme vor und gewährt eine Orientierungshilfe, welche Prinzipien und Vorschriften bestehender IFRS-Rechnungslegungsstandards herangezogen werden können.
Ansatz als Vorräte oder immaterielle Vermögenswerte in der Praxis zu beobachten
Die ESMA weist darauf hin, dass sich durch die Vielzahl bestehender Systeme - neben der Anwendung der IFRIC 3-Leitlinien - diverse Bilanzierungsansätze in der Praxis herausgebildet hätten. Grundsätzlich haben Unternehmen die Merkmale des jeweiligen Emissionshandelssystems und ihre jeweiligen individuellen Verpflichtungen genau zu analysieren. Als fundamental gilt die zu Beginn vorzunehmende Überprüfung inwieweit die Emissionsrechte die Definition eines Vermögenswerts erfüllen oder ob diese stattdessen aufwandswirksam zu erfassen sind.
Kommt ein Unternehmen nach dieser eingehenden Prüfung zu dem Ergebnis, dass ein Vermögenswert angesetzt werden darf, sei der Ansatz der Emissionsberechtigungen als Vorräte oder immaterielle Vermögenswerte am häufigsten in der Praxis vorzufinden, so die ESMA. Diese Erfahrungen beruhen auf Beobachtungen nationaler Enforcer und der ESMA im Rahmen von Enforcement-Prüfungshandlungen der letzten Jahre.
Der Ansatz ist grundsätzlich davon abhängig, ob typischerweise zur Nutzung bestimmte zugeteilte oder erworbene Emissionsberechtigungen im Rahmen der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit verkauft bzw. zur Herstellung von Produkten oder Dienstleistungen zur Erfüllung von Verträgen mit Kunden eingesetzt werden (IAS 2) oder die Emissionsberechtigungen übertragbar oder handelbar sind und zur Begleichung einer Verpflichtung aus der Emission von CO2 im Rahmen der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit gehalten werden (IAS 38).
Vorräte werden als Vermögenswerte definiert, die zur Veräußerung im normalen Geschäftsbetrieb gehalten oder zum Zwecke der Produktion eines zu veräußernden Vermögenswerts eingesetzt bzw. zum Zwecke der Produktion – alternativ der Erbringung von Dienstleistungen - verbraucht werden (IAS 2.6). Der Verbrauch von Emissionsberechtigungen ist dabei in dem Ausstoß von CO2 zu sehen. Dessen Bewertung erfolgt in der Praxis zu Durchschnittskosten oder gem. first-in-first-out-Methode und dessen Ausweis in den Umsatzkosten.
Eine Aktivierung von Emissionsberechtigungen im Einklang mit IAS 38 bedingt einen erwarteten wahrscheinlichen künftigen dem Unternehmen zufließenden wirtschaftlichen Nutzen, welcher in einem cap-and-trade System i.d.R. bestehen sollte. Überdies müssen die Kosten der Emissionsberechtigungen verlässlich gemessen werden können.
Bei unentgeltlich zugeteilten Emissionsberechtigungen gilt Folgendes: Als Zuschuss gewährte Emissionsberechtigungen werden oftmals zum Nominalwert (i.d.R. null) bilanziert. Da kein Vermögenswert entsteht (bzw. ein Vermögenswert in Höhe von null), erfolgt keine Gegenbuchung. Unentgeltlich zugeteilte Emissionsberechtigungen werden in Teilen aber auch zum beizulegenden Zeitwert bilanziert und die Differenz bzw. die Gegenbuchung als Zuwendung der öffentlichen Hand gem. IAS 20 (als Rechnungsabgrenzungsposten) abgebildet. Der ursprüngliche beizulegende Zeitwert stellt die (deemed) cost und somit den Ausgangspunkt für die Folgebewertung dar. Der gebildete Rechnungsabgrenzungsposten wird später gegen die Umsatzkosten aufgelöst, wenn Emissionen freigesetzt werden.
Folgebewertung
Die Erfassung bzw. Erstbewertung erfolgt sowohl bei einem Ansatz als Vorräte als auch bei einem Ansatz als immaterielle Vermögenswerte zu den gezahlten Anschaffungskosten. In der Folge werden diese meist nur außerplanmäßig abgeschrieben. Es gilt die Pflicht zur Bewertung zum niedrigeren Wert aus Anschaffungs- oder Herstellungskosten und Nettoveräußerungswert (IAS 2.9/IAS 36.2(a)) oder im Falle des Ansatzes als immaterielle Vermögenswerte nach IAS 38 gemäß IAS 36.6 zum niedrigeren Wert aus Nutzungswert und beizulegendem Zeitwert abzüglich Veräußerungskosten. Der Nutzungswert der Emissionsberechtigungen hat auf Ebene der CGU, der die Emissionsberechtigungen zuzurechnen sind, bemessen zu werden.
Pflicht zum Erwerb (zusätzlicher) Emissionsberechtigungen
Aus der Verpflichtung zur Abgabe von Emissionszertifikaten kann sich die Notwendigkeit einer Rückstellungsbildung ergeben. Dies ist bspw. der Fall, wenn das Unternehmen CO2 emittiert, für das es unentgeltlich CO2-Zertifikate erhalten hat, die es zum Marktwert in der Bilanz angesetzt hat, oder der Emittent über den zulässigen Schwellenwert hinaus CO2 emittiert hat. Unternehmen haben hierfür grundsätzlich die Kriterien des IAS 37.14 zu berücksichtigen.
Der Ansatz der Rückstellung hat in Höhe der bestmöglichen Schätzung der Ausgaben, die zur Erfüllung der gegenwärtigen Verpflichtung erforderlich sind, zu erfolgen (IAS 37.36). Nach Auffassung der ESMA sollte dies der aktuelle Marktwert der erforderlichen Emissionsberechtigungen sein oder der Buchwert der Emissionsberechtigungen, die das Unternehmen bereits hält und die zur Begleichung der Verpflichtung eingesetzt werden sollen. Bei der Beurteilung, ob und wann eine Verbindlichkeit angesetzt werden muss, sollten Emittenten auch alle faktischen oder rechtlichen Verpflichtungen berücksichtigen, die mit ihrem Tätigkeitsbereich verbunden sind. Die ESMA verweist an dieser Stelle in Ihrer Stellungnahme auch auf eine Agenda-Entscheidung aus März 2024 (Climate-related commitments), die sich mit der Frage beschäftigt, ob und wann der Bilanzersteller eine Rückstellung für öffentlich getätigte Aussagen zur CO2 Neutralität zu erfassen hat.[5]
Möglicher Ansatz als Finanzinstrument im Anwendungsbereich von IFRS 9
Sofern Unternehmen Verträge/Verpflichtungen abschließen/eingehen, Emissionsberechtigungen mit Net-Settlement-Optionen zu (ver-)kaufen, können diese Verträge unter IFRS 9.2.6 fallen und somit als Finanzinstrument zu behandeln sein. In diesen Fällen müssen Unternehmen die Verträge als Derivate zum beizulegenden Zeitwert erfassen, wobei Wertänderungen in der Gewinn- und Verlustrechnung zu erfassen sind, es sei denn die Verträge fallen unter die Eigenbedarfsausnahme gem. IFRS 9 oder werden zur Absicherung verwendet. Die Eigenbedarfsausnahme kann bspw. erfüllt sein, wenn ein Unternehmen Emissionsberechtigungen kauft, um seine eigenen (erwarteten) Emissionen auszugleichen.
Bilanzierung von Emissionsberechtigungen bei Handel zur Erzielung kurzfristiger Profite
Broker-Trader, die mit Emissionsberechtigungen zwecks kurzfristiger Profite handeln, können die Ausnahmeregelung des IAS 2.3 (b) in Anspruch nehmen. Somit kann die Bewertung der Emissionsberechtigungen zum beizulegenden Zeitwert abzüglich Veräußerungskosten erfolgen und Änderungen des beizulegenden Zeitwerts Eingang in die Gewinn- und Verlustrechnung finden. Die Bewertung erfolgt nach den Vorgaben des IFRS 13, d.h. die Bewertung hat aus Sicht der Marktteilnehmer zu erfolgen. Je nach verwendeten Inputparametern erfolgt die Einstufung in die Fair-Value-Hierarchie.
Veräußerung von Emissionsberechtigungen
Erfasst ein Unternehmen Emissionsrechte als Vorräte nach IAS 2, hat es grundsätzlich IFRS 15 anzuwenden, wenn es seine Emissionsrechte verkauft und Umsatz realisiert. Wendet das Unternehmen IAS 38 an, hat es aus dem Verkauf von Emissionsberechtigungen Gewinne oder Verluste, indes aber keine Umsatzerlöse zu erfassen (IAS 38.113).
Angaben im Anhang
Die ESMA-Stellungnahme enthält auch Empfehlungen zu notwendigen Anhangangaben, um eine transparente Berichterstattung sicherstellen zu können. Abschlussadressaten sollen in die Lage versetzt werden, die Auswirkungen der (verpflichtenden) Teilnahme an einem solchen Programm auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sowie die Kapitalflüsse eines Unternehmens zu verstehen.
Folgende Angabeempfehlungen sollten Unternehmen im Zusammenhang mit Emissionsberechtigungen
berücksichtigen:
- Bereitstellung von Informationen über die angewendeten Rechnungslegungsgrundsätze;
- Angaben gem. IAS 1 zu Ermessensspielräumen und Schätzungsunsicherheiten;
- Angabe der wichtigsten Annahmen zur Bewertung von Emissionsberechtigungen sowie Angaben zu damit verbundenen Verbindlichkeiten;
- Erläuterung der Auswirkungen der Emissionsberechtigungen auf die VFE-Lage sowie die Zahlungsströme;
- Quantitative Informationen
- Menge der Emissionsberechtigungen und
- Annahmen bei Durchführung eines Wertminderungstests;
- Die Berücksichtigung der spezifischen Angabeanforderungen der angewendeten Standards.
Wir verweisen bzgl. dieses Themas auch auf einen Beitrag in der PiR Nr. 1/2025.
[1] Vgl. IASB (Hrsg.), Pollutant Pricing Mechanisms, IASB Horizon scanning activities and feedback summary, S. 12f. (abrufbar unter: ap10a-horizon-scanning-feedback-summary.pdf; abgerufen am 02.12.2024).
[2] IASB, Pollutant Pricing Mechanisms – Emissions Trading Schemes issues (abrufbar unter: https://www.ifrs.org/content/dam/ifrs/meetings/2015/october/iasb/pollutant-pricing-mechanisms/ap06a-ppm.pdf; abgerufen am 12.02.2025).
[3] Vgl. IFRS IC, Recognition of Intangible Assets Resulting from Climate-related Expenditure (IAS 38), ap04, March 2025.
[4] Vgl. ESMA (Hrsg.), Clearing the smog: Accounting for carbon allowances in financial statements (abrufbar unter: ESMA32-483087481-68 Statement Clearing the smog - Accounting for Carbon Allowances in the Financial Statements; abgerufen am 12.02.2025).
[5] Wir verweisen auf einen Beitrag in der PiR 2024, S. 87.